Die Macht der Mikroben

Die New York Times hat vor einiger Zeit in einem interessanten Artikel über die Wirkung von Mikroben auf unsere Gesundheit berichtet. Spätestens seit die Werbung als großer Fürsprecher von Probiotika auftritt und Joghurt mit exklusiven, eigens gezüchteten Bakteriensträngen (und meist auch haufenweise Zucker sowie andere unnötige Stoffe) zu vermitteln versucht, wissen wir, dass Mikroben nicht nur böse und gefährlich sind, sondern auch gute und wichtige Dienste am Menschen leisten, ja geradezu unerlässlich für die Gesundheit sind.

Bakterientransplantation

Der Artikel liefert hierfür ein krasses Beispiel. Es wird von einer Patientin berichtet, die an einer Darminfektion der Bakterie Clostridium difficile litt. Ständiger Durchfall schwächte sie derart, dass sie an einen Rollstuhl gefesselt war und nach acht Monaten der Krankheit fast 30 kg verloren hatte. Antibiotika haben nicht gewirkt und aller Wahrscheinlichkeit nach wäre sie an ihrer Erkrankung gestorben, wenn nicht ein kluger Gastroenterologe vorgeschlagen hätte, eine Transplantation durchzuführen. Und nein, ein neuer Magen oder Darm wurde nicht transplantiert. Vielmehr hat der Arzt eine kleine Probe des Stuhls ihres Ehemannes genommen, mit einer Salzlösung vermischt und in den Dickdarm der Patientin geleitet. Innerhalb nur eines Tages verschwand ihr Durchfall und nach zwei Wochen schließlich auch der Infekt. Faszinierend.

Was hat diese unglaubliche Genesung herbei geführt? Eine Voruntersuchung hatte gezeigt, dass die Frau vor der Transplantation praktisch keine guten Bakterien in ihrem Darm mehr hatte. In einem gesunden Darm sind sowohl gute Bakterien als auch schlechte Bakterien zu finden sind. Diese befinden sich in einem ständigen Krieg miteinander, wobei die guten Bakterien ganz klar die Nase vorn haben und die schlechten Bakterien unterdrücken. Aus irgendeinem Grund hat sich aber bei ihr das Blatt zu Gunsten der schlechten Bakterien gewendet. Die Fäkaltransplantation lieferte Nachschub für die guten Bakterien, die als Folge wieder eine gesunde Darmflora herstellen konnten.

Unser Mikrobiom

Erst in den letzten Jahren können Wissenschaftler dank technologischer Fortschritte, insbesondere in der Genetik, auf relativ einfache Weise die genaue mikrobiale Zusammensetzung unseres Darms bestimmen. Unser Wissen um die Wechselwirkungen des Mikrobioms und unserer Gesundheit steckt also noch in Kinderschuhen. Klar ist jedoch, dass wir rund 10x so viele Mikroben beherbergen wie wir menschliche Zellen haben, diese 100x so viele Gene als wir aufweisen, und dass jede Ecke unseres Körpers im Grunde ein eigenes Lebensraum darstellt.

So schätzt man, dass der menschliche Mundraum zwischen 500 und 1000 Spezien beherbergt,1 wobei jeder Zahn und sogar jede Seite eines einzelnen Zahns eine ganz besondere Mischung vorzuweisen hat. Entsprechend hat jeder von uns im Grunde seine eigene mikrobiologische Signatur. Und auch unsere Hände sind sich mikrobial fremd; die linke Hand und die rechte Hand teilen nur 17% ihrer Spezien.

Die Entwicklung unseres Mikrobioms

Unsere Geburt stellt den Anfang unserer Kolonisierung durch und Symbiose mit Mikroben dar. Während wir wohl steril geboren werden, schlüpfen wir bei einer herkömmlichen Geburt bedeckt mit einer Schicht Mikroben aus dem Geburtenkanal. Ist die Geburt aber per Kaiserschnitt, befinden sich auf dem Säugling Mikroben, wie sie auf der Haut von Erwachsenen zu finden sind.2

Mit jedem Atemzug, mit jedem Biss, mit jeder Berührung entwickelt sich unser Mikrobiom weiter und damit auch wir. Beispielsweise wurde bei Mäusen entdeckt, dass Bakterien für die Entwicklung des Verdauungstraktes notwendig sind: Mäuse, die steril aufwachsen, leiden an einem unterentwickelten Verdauungstrakt. Unsere Darmflora wird beeinflusst durch unsere Ernährung, Alter und Körpergewicht, aber auch unser Genotyp.

Die Macht der Mikroben

Oft wird gesagt, dass der Darm der Sitz der Gesundheit sei. Auch wenn das in mancherlei Hinsicht stimmt und wir in diesem Beitrag vornehmlich die Darmflora ansprechen, sind Mikroben in weiterer Hinsicht wichtig für unser Immunsystem. Manche Mikroben senden chemische Signale, die gewisse Abwehrzellen empfangen und benötigen, um z.B. entzündungsmindernde Moleküle produzieren zu können, während andere Mikroben in unserer Nase Antibiotika absondern, die eindringende Krankheitserreger töten.

Manche Bakterien in unserem Darm helfen bei der Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen. Während der Mensch 99 Enzyme zur Verdauung absondert, produziert schon alleine das im Darm lebende Bakterium Bakteroides theta 250 Enzyme. Ohne Bakterien wären wir weit weniger effiziente Esser.

Apropos effiziente Esser: die Darmflora von Übergewichtigen unterscheidet sich – jedenfalls gemäß mancher Studien – von der Darmflora von Normalgewichtigen. Übergewichtige haben einen großen Anteil an Bakterien, die besonders effizient Nährstoffe verarbeiten (sog. Firmicutes im Gegensatz zu Bacteroides, die bei Normalgewichtigen überwiegen). Sind die Bakterien Ursache oder Folge des Übergewichtes? Vielleicht beides. Nehmen Übergewichtige ab, nimmt auch der Anteil an Firmicutes ab, doch transplantiert man die Darmflora von übergewichtigen Mäusen in normalgewichtige Mäuse, nehmen letztere zu.

Japanische Superbakterien. Tatsächlich können Bakterien darüber entscheiden, ob man etwas verdauen kann oder nicht. So kann der durchschnittliche Nordamerikaner die Mehrfachzucker in Algen wie Nori nicht verdauen – Japaner aber schon. Denn Japaner haben einen besonderen Stamm der Bakterie Bacteroides plebeius, die diese Mehrfachzucker zersetzen können und damit der Verdauung zugänglich machen. Diese erstaunliche Eigenschaft, so vermutet man, haben Japaner ihrer Ernährung zu verdanken, die reich an Meeresalgen ist. Beim Verzehr dieser Meeresalgen wurden auch algen-fressende Bakterien aufgenommen. Der nächste Schritt war, dass diese Meeresbakterien ihre Gene in die schon vorhandene Darmbakterie Bacteroides plebeius einschleusten. Diese genetische Promiskuität von Bakterien geschieht nur unter optimalen Bedingungen, aber theoretisch muss sie nur einmal geschehen sein. Weil wir mit anderen Personen Bakterien austauschen, konnte sich dieser Bakterienstamm durch die japanische Gesellschaft ausbreiten und halten, obwohl Algen mittlerweile für den abgepackten Verkauf in Supermärkten sterilisiert werden.

Der Einfluss der Ernährung auf die Darmflora

Doch auch ohne Gentransfers wirkt sich unsere Ernährung auf unsere Darmflora aus. Eine Studie3 untersuchte die Darmflora von 14 Kindern in Burkina Faso mit der von 15 Kindern in Europa. Ziel der Studie war herauszufinden, welchen Einfluss die Diät auf die Darmflora hat. Die Kinder waren alle zwischen 1 und 6 Jahre alt. Die afrikanischen Kinder ernährten sich vornehmlich vegetarisch, fett- und eiweißarm, aber reich an Ballaststoffen. 1 bis 2-jährige Kinder nahmen täglich im Schnitt 10 g Ballaststoffe zu sich, 2 bis 6-jährige Kinder 14,2 g. Hauptnahrungsmittel waren Zerealien, Bohnen und Gemüse, die alle lokal angebaut und verarbeitet wurden. Im Übrigen bekamen Kinder bis zu einem Alter von 2 Jahren auf Verlangen die Brust.

Die europäischen Kinder wurden nur während des ersten Lebensjahrs gestillt. Ihre Ernährung war reich an tierischem Eiweiß, Zucker, Stärke und Fett, aber ballaststoffarm – bei den 1 bis 2-Jährigen wurden nur 5,6 g/Tag zu sich genommen, bei den 2 bis 6-jährigen 8,4 g/Tag. Im Übrigen haben sie auch 50-60% mehr Kalorien zu sich genommen, als ihre afrikanischen Altersgenossen.

Hinsichtlich der Darmflora wurde entdeckt, dass im Darm der Europäer Firmicutes dominierten, während bei den Afrikanern Bacteriodes am häufigsten anzutreffen waren. Wer aufgepasst hat, wird merken, dass das die Situation von Übergewichtigen (Europäer) und Normalgewichtige (Afrikaner) spiegelt.

Spannender fand ich jedoch die Erkenntnis, dass die Afrikaner eine größere Vielfalt in ihrer Darmflora zeigten. Dank mancher Bakterien, die die Europäer nicht hatten, waren die afrikanischen Kinder eher in der Lage, pflanzliche Ballaststoffe zu verwerten. Zudem hatten die Kinder in Burkina Faso – trotz eines vermutlich unhygienischeren Lebensstils – weit geringere Konzentrationen an gefährliche Bakterien wie E. coli und Shigella.  Der Grund hierfür war vermutlich die gesunde Darmflora, die pathogene Bakterien unterdrückte.

Es gibt aber noch mehr zu berichten: bei den afrikanischen Kindern wurden weit höhere Konzentrationen an kurzkettigen Fettsäuren gefunden. Kurzkettige Fettsäuren wie Buttersäure, Essigsäure und Milchsäure werden von Darmbakterien produziert, wenn diese unverdauliche Ballaststoffe fermentieren. Wie Stephan von Whole Health Source in einem hervorragenden Beitrag berichtet, wirken kurzkettige Fettsäuren sowohl stark entzündungshemmend als auch krebshindernd. Wegen ihrer entzündungshemmenden Eigenschaften werden kurzkettige Festtsäuren zur Behandlung des Morbus Crohn und der ulzerativen Kolitis eingesetzt. Zudem senken sie die Darmpermeabilität. Ein sog. durchlässiger Darm ist bei vielen Autoimmunerkrankungen impliziert. Schließlich werden Frostbeulen gerne erfahren, dass Buttersäure (als Energielieferant dienend) wohl auch kälteresistent macht … jedenfalls bei Mäusen.

Aus der Studie wird nicht unbedingt klar, dass die Ernährung der Grund für die Unterschiede in der Darmflora ist. Es könnte beispielsweise ein unterschiedlicher Genotyp (mit-)ursächlich sein. Andererseits hat man festgestellt, dass eine Ernährungsumstellung innerhalb nur eines Tages die Darmflora verändern kann.4 Vieles spricht also dafür, dass wir unsere Darmflora mittels der richtigen Ernährung durchaus hegen, pflegen und beeinflussen können.

Fazit

Ich glaube nicht, dass es eine einzige Ursache für die zahlreichen Zivilisationskrankheiten gibt, die zunehmend auftreten – dafür sind unsere Körper einfach zu komplex. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen, wobei ein sehr wichtiger Faktor die Ernährung ist. Die Ernährung gibt uns nicht nur Nährstoffe, sondern im Idealfall auch eine breite Anzahl an nützlicher Mikroben und Nährstoffe für diese Mikroben.

In diesem Sinne schaue ich gleich nach meinem selbstgemachten Ziegenmilchjoghurt, Weiderohmilchkefir (nicht mit Ladenkefir zu vergleichen) und Sauerkraut!

Quellen

  1. Nicht zur gleichen Zeit; zu einem gegebenen Zeitpunkt befinden sich nur 100 bis 200 Spezien im Mundraum einer einzelnen Person.
  2. Übrigens hat man festgestellt, dass per Kaiserschnitt geborene Kinder ein höheres Risiko haben, an Asthma und Allergien zu erkranken, und dass Asthmatiker in ihren Lungen eine andere mikrobiale Zusammensetzung als Nicht-Asthmatiker haben.
  3. Impact of diet in shaping gut microbiota revealed by a comparative study in children from Europe and rural Africa – PNAS (2010).
  4. The Effect of Diet on the Human Gut Microbiome: A Metagenomic Analysis in Humanized Gnotobiotic Mice – Science Translational Medicine (2009).

8 Gedanken zu „Die Macht der Mikroben“

    • Vielen Dank, Paul!

      Algen schmecken mir auch sehr. Bin ich am Strand, knabbere ich meist hier und da.

      Kennst Du zufällig Lappentang? http://de.wikipedia.org/wiki/Lappentang Der Lappentang von hier http://www.ironboundisland.com/ schmeckt hervorragend (bzw. schmeckte, es ist schon etwas länger her). Ich weiß allerdings nicht, ob sie nach Europa versenden. Lappentang habe ich auch von einem anderen Anbieter probiert, aber der von Iron Bound Island war deutlich besser, wenn auch um einiges teurer. Wo kaufst Du Deine Algen?

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      • Ich kaufe meine Algen bei orkos.com!
        Einen anderen Anbieter kenne ich leider nicht. Ich habe lange gesucht. Vorher habe ich ab und zu Trockenalgen gegessen, aber das brauche ich ja nicht mehr.

        Lappentang kannte ich noch nicht.
        Ich esse gerne Spaghetti Algen, da sie eher fest sind und nicht so kräftig schmecken, wie andere Algenarten. Geht glatt als Nudelersatz durch.

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