Die Psychologie des Hungers – Hunger Games of the Mind

Burgers make me oh so happy! - 216:365
Burgers make me oh so happy! – 216:365 by Susana Fernandez, on Flickr

Oft wird der Hunger – und dadurch auch das Abnehmen – als rein physische Angelegenheit angesehen. Entweder geht es um Energieaufnahme vs. Energieausgabe, oder es geht um Leptin (erst 1994 entdeckt!) und Insulin, einfache Kohlenhydrate vs. komplexe Kohlenhydrate, Fett vs. Eiweiß vs. Kohlenhydrate.

Immer häufiger taucht aber eine neue Komponente in der Gleichung auf. Die des Gehirns.

Stephan Guyenet von Whole Health Source schreibt dazu u.a. bei BoingBoing, im Buchhandel findet man u.a. die beiden empfohlenen Bücher „Essen ohne Sinn und Verstand: Wie die Lebensmittelindustrie uns manipuliert“ und „The End of Overeating: Taking control of our insatiable appetite.“ Der eigentliche Anstoß für diesen Beitrag war jedoch der Artikel „The hunger mood“ des Psychologen und Neurowissenschaftlers Michael Graziano.

Graziano hat das Problem der Gewichtsregulierung eher in der Psychologie als in der Physiologie vermutet, und so unternahm er auch einen Selbstversuch, um diese Hypothese zu falsifizieren. Ausgangspunkt für seine Überlegungen ist, dass der Hunger ein motivated state of mind sei, also ein Gemütszustand, der durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst wird. Wir sind immer hungrig, gewiss zu verschiedenen Graden, aber daher läuft der Hunger stets im Hintergrund, wo er unsere Entscheidungen, bewusster oder unbewusster, beeinflusst.

Das für unseren Hunger hauptsächlich zuständige Organ ist der Hypothalamus, ein Teil des Stammhirns, also des Teils des Gehirns, welches an die Wirbelsäule/das Rückenmark anschließt. Der Hypothalamus ist auch für die sonstigen autonomen Vorgänge im Körper die wichtigste Steuereinheit.1

Wie Graziano es so schön ausdrückt, der Hypothalamus schmeckt wortwörtlich das Blut nach Fett, Eiweiß und Zucker ab. Er misst auch die Körpertemperatur und den Blutdruck, und führt diese Elemente mit all den anderen sensorischen Wahrnehmungen zusammen, die wir registrieren, sei es das Essen vor uns, Gerüche, die Uhrzeit, usw., und teilt uns dann mit, dass wir hungrig sind. Ähnliches gilt für den Hinweis, dass wir satt sind. Spüren wir unseren Magen voll, sind wir schon weit hinter dem Punkt, wo wir psychologisch gesehen satt sein sollten. Unsere Sättigung wird ebenfalls durch unser Hypothalamus mitgeteilt, u.a. aus Erfahrungswerten der Vergangenheit.

Der Hypothalamus regelt also alles automatisch. Was passiert aber, wenn wir versuchen, ihn zu überlisten bzw. zu ignorieren? Wenn wir gezielt weniger Kalorien zu uns nehmen wollen, um abzunehmen? Graziano vergleicht das mit dem Reizen eines Tigers, wenn man ihn mit einem Stock piksen würde. Das ist nicht unbedingt etwas, was man tun sollte. Man hat den Hungertiger, der eigentlich im Hintergrund auf Streife geht und nur auf Kommando des Hypothalamus sich zur Wort melden soll, aufgeweckt. Er patrouilliert jetzt immer an vorderster Front. Dadurch ist man sich nicht bewusst, dass man jetzt eigentlich viel mehr als früher isst.

Den Grund dafür kann man sich leicht vor Augen führen: Hat man, vollgestopft nach einem großen Mahl, ein Stück Kuchen vor sich, wirkt es riesig. Hat man aber mächtig Hunger, erscheint dasselbe Stück mickrig. Die Einschätzung des Stück Kuchens hängt vom Hungergemütszustand ab.

Dass das Essen häufig eine rein psychologische Sache ist, habe ich oft genug selbst bemerkt – und Du vielleicht auch. Ein häufiges Szenario bei mir ist, dass ich gelangweilt vor dem PC sitze und arbeiten muss. Plötzlich ruft die Küche und möchte mich ablenken, auch wenn ich keinen Hunger habe. Manchmal fühlt man sich traurig und isst dann einfach für die Seele. Wie mir schon öfters von bestimmten Personen gesagt wurde: Die Seele ist für unsere Gesundheit genauso wichtig wie der Körper.

Aber zurück zum Artikel. Graziano wollte untersuchen, welche Rolle die Psyche beim (Über-)Essen spielt. 12 Monate lang hat er ein Essenstagebuch geführt. Zunächst aß er täglich das gleich, um eine Art Basis zu schaffen. Dann hat er eine Kleinigkeit an seinem Essverhalten geändert und die Auswirkungen beobachtet. Und diese waren sehr interessant.

Er hat entdeckt, dass manche Änderungen ihn hungriger machten, andere weniger hungrig. Die drei apokalyptischen Reiter des Hungers waren: extrem hohe Kohlenhydrate, extrem niedriger Fettgehalt und das Kalorienzählen.

Three bad habits appeared to consistently boost my hunger. I call them the super-high death-carb diet, the low-fat craze, and the calorie-counting trap.

Für uns interessant ist, dass jede dieser drei „Diäten“ heute normal ist.

Die extrem kohlenhydrathaltige Ernährung findet man in fast jedem Haushalt wieder. Ein Toastbrot mit Marmelade zum Frühstück, mittags irgendetwas mit Pasta oder Kartoffeln und natürlich eine Cola dazu, nachmittags gönnt man sich ein Stück Kuchen, vielleicht einen (süßen) Kaffee Karamell, abends ein Bierchen und dazu noch ein paar Scheiben Brot.

Dann haben wir den Fettvermeider, der auf seine Figur achtet, und 0,1% Joghurt kauft, bei der Butter spart, in Teflon-Pfannen kocht, die Haut vom Hähnchen verschmäht.

Und schließlich haben wir die arme Seele, die unbedingt abnehmen will und ständig Kalorien zählt. Oh, ich muss jetzt mittags einen Salat nehmen, alles andere hat zu viele Kalorien.

Alle diese Ernährungsweisen reizten Grazianos Hungertiger  – insbesondere der letzte Punkt . Also hat er die Konsequenz gezogen und seine Ernährung umstellt. Der erste Schritt war, seinen Kohlenhydratkonsum zu senken. Im Vergleich zu vorher senkte er diesen um 90%, war aber trotzdem noch weit entfernt von einer kohlenhydratarmen Diät wie LCHF oder Atkins. Der zweite Schritt war, seine Fett-Phobie abzulegen. „Normale“ Mengen an Olivenöl oder Butter waren also OK. Der letzte und schwierigste Schritt für ihn war, soviel essen zu dürfen, wie er wollte, sich nicht zurückzuhalten.

Diese drei einfachen Regeln haben dazu geführt, dass er im Schnitt 1kg die Woche abnahm – und das, ohne ständig mit sich selbst kämpfen, ohne ständig seinen Hunger zügeln zu müssen.

Graziano vergleicht unser Hungergefühl mit unserer Atmung. Man kann beides bewusst steuern, aber am besten läuft alles automatisch im Hintergrund.

Geht man zurück zu dem oben verlinkten Artikel von Stephan Guyenet in BoingBoing, lesen wir über den body fat setpoint, den Körperfett-Setzpunkt.2 Jeder von uns hat einen uns eigenen -aber nicht fixen- Prozentsatz an Körperfett. Das ist der Körperfett-Setzpunkt. Die Körperfettregulierung funktioniert grundsätzlich auch bei Übergewichtigen, aber das Problem ist, dass der Körper einen zu hohen Körperfett-Setzpunkt verteidigt – und dass der Körper eher einen hohen Setzpunkt verteidigt als einen niedrigeren. Aber wieso ist das der Fall?

Stephan argumentiert, dass wir durch bestimmte, hyperschmackhafte und energetisch reiche Lebensmittel zum Überessen verführt werden. Es sind die üblichen Verdächtigen dabei: Chips, Plätzchen, Pizza, usw. Bekommen sowohl Menschen als auch Ratten ein Buffet solcher Lebensmittel vorgesetzt, überfressen sie sich daran, nehmen rasant zu, und werden auch abhängig davon.

Diese Lebensmittel stimulieren sowohl die Hedonik, als auch das Belohnungssystem. Ersteres beeinflusst, wieviel wir essen, letzteres was wir essen. Daher bekommt man nach einem Joint Hunger bzw. Appetit. Cannabis regt sowohl das hedonische als auch das Belohnungssystem an.

Die beiden Systeme beeinflussen auch das System des Körpers, das für einen ausgeglichenen Energiehaushalt sorgt und mitteilt, wann man essen soll (Energiedefizit) und wann nicht (Energieüberfluss)

Der Stoffwechsel ist hochspannend, aber, wie man sieht, auch hochkomplex. Wer sich in die Thematik vertiefen möchte, dem sei das Buch „Metabolic Regulation: A Human Perspective“ empfohlen.

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