Teil 2: Der westliche Lebensstil und Zivilisationskrankheiten

Vor einiger Zeit ist die sehr interessante Abhandlung The western diet and lifestyle and diseases of civilization erschienen. Autoren waren Pedro Carrera-Bastos, Maelan Fontes-Villalba, James H O’Keefe, Staffan Lindeberg und Loren Cordain. In diesem zweiten Beitrag zur Abhandlung zeige ich die Folgen der neolithischen Revolution auf mit besonderem Blick auf unsere veränderte Ernährung seit der Altsteinzeit. Ich betone, dass ich hier die Infos aus dem Beitrag wiedergebe, zum Teil aber auch Aussagen kommentiere.

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Die neolithische Revolution hat zwar Lebensmittel wie Getreide als Grundnahrungsmittel und Milchprodukte eingeführt, die mehr oder minder der Gesundheit abträglich waren. Die industrielle Revolution und die Moderne haben jedoch die negativen Aspekte dieser Erneuerungen mit industrieller Effizienz verstärkt. Dank der industriellen Revolution verbreitete sich der Einsatz von raffiniertem Getreide, Zucker und Pflanzenölen rasant aus. Die Moderne brachte uns dann u.a. in Kontakt mit industriellen Lebensmitteln (Junk Food), Umweltverschmutzung, chronischem Stress, und veränderten Tagesrhythmen. Wir wurden weniger körperlich aktiv und setzten uns seltener der Sonne aus. Das sind alles Punkte, auf die die Autoren mit einiger Ausführlichkeit eingehen und die es nachzulesen lohnt.

Spurenelemente

Die neolithische Revolution hat sich auch nachträglich auf unsere Versorgung mit Spurenelementen ausgewirkt. Kalorie für Kalorie weisen Meeresfrüchte, Fleisch, Gemüse und Früchte eine höhere Dichte an Spurenelementen auf als Milch und Getreide, zwei Lebensmittelgruppen, die in der Steinzeit keine Rolle spielten.

ErhältlichNicht erhältlich
Insekten, Fisch und Meeresfrüchte, Reptilien, Vögel, Säugetiere, Eier - alle nicht domestiziertMilchprodukte (abgesehen von der Muttermilch)
Blätter, Blüten, SeealgenGetreide (in der Jungsteinzeit gelegentlich)
WurzelnHülsenfrüchte (gewisse Sorten jedoch abhängig von der Jahreszeit)
KnollenIsolierter Zucker
Beeren und wilde FrüchteIsolierte Öle
Nüsse und SamenAlkohol
Honig (gelegentlich)Raffiniertes Salz

In den USA wird energetisch über 36 % der Ernährung durch Pflanzenöle und raffiniertem Zucker gedeckt. Das heißt, dass 36 % der Ernährung keine Spurenelemente liefert. Gekoppelt mit der Tatsache, dass Lebensmittel heute weit weniger Nährstoffe als früher aufweisen, weil die Böden so ausgelaugt sind, darf es nicht weiter verwundern, wenn eine chronische Unterversorgung an Nährstoffen festzustellen ist. Aber nicht nur das. Getreide unterbindet auch die Aufnahme einer Vielzahl derer Nährstoffe, die wir aufnehmen. Magnesium, Kalzium, Eisen und Zink sind beispielsweise alle Opfer des in Getreide enthaltenen Antinährstoffs Phytat, welcher selbst diese Nährstoffe an sich bindet, sodass sie dem Körper nicht mehr zur Verfügung stehen.

Apropos Unterversorgung an Nährstoffen: Foreign Policy berichtet über die „hungernde Milliarde“ der Weltbevölkerung:

The standard media story about the country, at least when it comes to food, is about the rapid rise of obesity and diabetes as the urban upper-middle class gets richer. Yet the real story of nutrition in India over the last quarter-century, as Princeton professor Angus Deaton and Jean Drèze, a professor at Allahabad University and a special advisor to the Indian government, have shown, is not that Indians are becoming fatter: It is that they are in fact eating less and less. Despite the country’s rapid economic growth, per capita calorie consumption in India has declined; moreover, the consumption of all other nutrients except fat also appears to have gone down among all groups, even the poorest. (Hervorhebung von mir.)

Kalium/Natrium-Verhältnis

Dank der ungeheuren Zugabe von Salz in Fertigprodukten und die Vernachlässigung von Kalium-reichen-Lebensmitteln überwiegt bei Weitem die Aufnahme von Natrium gegenüber Kalium in der modernen Ernährung. Es wird vermutet, dass dieses Missverhältnis u.a. zu Bluthochdruck, Schlaganfall, Nierensteine, Osteoporose, und anderen Erkrankungen führt.

Säure/Basen-Verhältnis

Ein weiteres Missverhältnis betrifft den Säure-Basen-Haushalt. Milchprodukte, Getreide, Salz, Fleisch, Fisch und Eier haben eine saure Wirkung, während Früchte, Gemüse, Knollen, Wurzeln und Nüsse einen basischen Effekt vorweisen. Es wird angenommen, dass die Ernährung unserer steinzeitlichen Vorfahren eher basisch war. Die moderne Ernährung führt häufig zu einer Übersäuerung des Körpers und dadurch u.a. zu einer verstärkten Ausscheidung von Kalzium und Magnesium.

Antinährstoffe und Entzündung

Wie Cooling Inflamation schreibt, sind Entzündungen ein Grundelement von Krebs und Autoimmunerkrankungen. Veränderungen der Darmflora sowie eine erhöhte Darmdurchlässigkeit durch Schwächung der Darmbarriere sind mögliche Ursachen für chronische Entzündung.

Eine schwache Darmbarriere ermöglicht sogenannten Antigene, also Stoffe, die eine Produktion von Antikörpern gegen das Antigen bewirken und somit zu einer Entzündungsreaktion des Körpers führen, in den Blutkreislauf zu gelangen. Es wurde festgestellt, dass neben manchen Lebensmitteln wie Butter, Zucker oder Alkohol, auch Lektine, Saponine und Gliadin zu einer erhöhten Darmdurchlässigkeit für Antigene beitragen. Gliadin ist ein in Weizen vorkommendes Eiweiß; Lektine und Saponine sind pflanzliche Abwehrstoffe und ebenfalls Eiweiße. Nicht alle Lektine sind für den Menschen toxisch. Aber Lektine in Getreide, Hülsenfrüchte und Nachtschattengewächse wie Kartoffeln und Tomaten können sich ans Darmgewebe binden und sind daher potentiell problematisch, zumal die meisten Lektine gegen Hitze als auch menschliche Verdauungsenzyme resistent sind.

Auch moderne Verarbeitungstechniken tragen ihren Teil zur Förderung von chronischen Entzündungen bei, weil Pasteurisierung, Sterilisierung, Ionisation, Bestrahlung, usw. verstärkt sog. Glykierungsendprodukte (advanced glycation end products – AGEs) und Fettoxidationsendprodukte (advanced lipid oxidation end products – ALEs) produzieren. AGEs und ALEs sind in der Entstehung von chronischen degenerativen Erkrankungen impliziert.

Glykämische Last (GL), Ballaststoffe und Fruktose

Kohlenhydrate in der Altsteinzeit kamen vorwiegend von wilden Früchten und Beeren sowie Gemüse mit meist niedrigem glykämischen Index (GI). Knollen wurden gelegentlich gegessen, Honig und Zerealien nur selten. Heute sind die Hauptquellen für Kohlenhydrate raffiniertes Getreide und raffinierter Zucker. Selbst Vollkorn hat eine höhere GL als die meisten nichtverarbeiteten Früchte und Gemüse. Deshalb wird angenommen, dass die durchschnittliche GL in der Altsteinzeit signifikant niedriger war als bei heutigen Ernährungsweisen. Die Anpassung an eine Ernährung mit hoher GL kann u.a. zu einem zu hohen Blutzuckerspiegel, Insulinresistenz und hormonellen Veränderungen führen.

In der Altsteinzeit war die Ernährung zudem ballaststoffreicher. Obst und Gemüse haben pro Kalorie 2 x bis 8 x mehr Ballaststoffe als Vollkorngetreide! Auch sind die Ballaststoffe bei Obst und Gemüse löslich, während Getreide vornehmlich unlösliche Ballaststoffe vorweist. Insbesondere lösliche Ballaststoffe wirken sättigend und unterbinden die Bildung von freien Fettsäuren nach dem Essen. Die Fermentierung von Ballaststoffen im Darm liefert zudem wichtige kurzkettige Fettsäuren. Wie Stephan von Whole Health Source in einem hervorragenden Beitrag berichtet, wirken kurzkettige Fettsäuren sowohl stark entzündungshemmend als auch krebshindernd. Mehr zur Rolle der Darmflora hier.

Des Weiteren findet seit der Entdeckung von raffiniertem Zucker und Maissirup Fruktose in noch nie dagewesenem Maße Eingang in unsere Ernährung. Neuere Erkenntnisse weisen auf einen Zusammenhang zwischen einem überhöhten Fruktosekonsum und zahlreichen Zivilisationserkrankungen hin. Mehr dazu in der Serie Die Gefahren von Fruktose: Teil 1 und Teil 2.

Schließlich ist der Konsum von Milchprodukten anzusprechen. Milch, Joghurt, und gewisse Käsesorten, die Laktose enthalten, haben einen niedrigen GI aber bewirken trotzdem eine starke Insulinausschüttung. Es gibt Anzeichen, dass der Konsum von Milchprodukten zu einer erhöhten Insulinresistenz und Produktion von AGEs führt.

Makronährstoffverteilung

In den USA wird empfohlen, dass, in energetischer Sicht, Eiweiß 15 %, Kohlenhydrate 55-60 % und Fett 30 % der Ernährung ausmachen sollen. Bei Jägern-und-Sammlern nimmt man dagegen ein Verhältnis an von 19-35 % Eiweiß, 22-40 % Kohlenhydrate und 28-58 % Fett. (Siehe aber Stephans gute Anmerkungen dazu und die folgenden Beiträge von Kurt Harris zum Thema „mageres“ Wild: 1, 2, 3.) Insbesondere Sportler und ältere Menschen können von einer erhöhten Eiweißaufnahme von 1,4-2 g/kg/d im Gegensatz zu den allgemein empfohlenen 0,8 g/kg/d profitieren. Eiweißreiche Ernährungsweisen wirken anabolisch für Muskeln und Knochen, verbessern Blutfettwerte und erhöhen die Insulinempfindlichkeit. Hier möchte ich jedoch anmerken, dass Eiweiß nicht gleich Eiweiß ist (genauso wenig wie man Kohlenhydrate und Fette über einen Kamm scheren kann). Die heutige Vernachlässigung von Gelatine und anderen Eiweißen zu Gunsten von den Eiweißen in Muskelfleisch wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus. Siehe dazu beispielsweise hier.

Die Autoren geben aber auch zu bedenken, dass man die gesundheitlichen Vorteile einer vergleichsweise kohlenhydratarmen Ernährung wie sie häufig bei Jägern-und-Sammlern zu finden ist, nicht unbedingt auf den geringen Konsum von Kohlenhydraten zurückführen kann. Denn in einer solchen Ernährung wird auch weniger Zucker und weniger Getreide zu sich genommen.

Hinsichtlich der Angst vieler, bei einer Art Steinzeitdiät zu viel Fett zu sich zu nehmen und dadurch Herz- und Gefäßerkrankungen zu begünstigen, wird erklärt, dass ausschlaggebend die Art des Fetts (also ob gesättigte, einfach ungesättigte oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Laurinsäure oder Palmitinsäure, etc.) und nicht der prozentuale Gesamtanteil ist. Daher wird empfohlen, bevorzugt tierische Produkte von Weidetieren zu essen und bei den Pflanzenfetten auf Oliven- und Kokosöl zurückzugreifen. Dem kann ich nur beipflichten. Die vorherrschende Fettphobie ist leider völlig Fehl am Platz und wissenschaftlich schon lange überholt.

Das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren

Schließlich wird noch das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren angesprochen. Seit der Steinzeit hat sich dieses aufgrund der Einführung von Getreide und in der Moderne von Pflanzenölen von einem fast ausgeglichenen Verhältnis von 1:1 bis 1:3 zu einem an O-6 bei weitem überwiegenden: 1:10 bis 1:30, je nach Region und Ernährung! Studien deuten darauf hin, dass diese Verschiebung des Verhältnisses bei Herz- und Gefäßerkrankungen und anderen Zivilisationskrankheiten eine Rolle spielt.

Schlussfolgerungen

Ein kleiner Ausschnitt aus dem Resume des Artikels, Hervorhebung von mir:

The adoption of diet and lifestyle that are very different from what shaped the human genome for more than 2 million years is a major factor in the widespread prevalence of chronic degenerative diseases that are epidemic in western countries. This conclusion strongly suggests that focusing on isolated dietary or lifestyle variables is not an appropriate preventive medicine strategy.

In der Tat ist das Fokussieren auf einzelne Aspekte keine effektive Strategie, um seine Gesundheit zu verbessern. Sport zu treiben, aber täglich bei McDonalds zu essen, ist genauso unsinnig wie das Schlemmen am Kuchenbuffet mit Ausgleich durch die Vitaminpille. Für eine optimale Gesundheit ist es notwendig, seinen Lebensstil darauf auszurichten. Man muss verschiedene Ansätze kombinieren. Meines Erachtens sind die wichtigsten körperliche Bewegung, eine gesunde Ernährung und die Vermeidung von Stress.

Eine halbe Stunde Sport am Tag ist nicht viel, aber in einer halben Stunde kann man extrem viel erreichen. Kurz aber heftig ist hier das Motto. CrossFit und ähnliche Programme sind zu empfehlen. Bei der Ernährung muss man im Grunde nur auf alles verzichten, was im Laden steht und schon eine Verarbeitungsstufe hinter sich hat. Klar gibt es Ausnahmen dazu, aber als grundsätzliche Faustregel kann man damit nichts falsch machen. Eine andere Regel ist, nichts zu essen, was man in der Natur nicht finden und essen könnte, ohne mehr als lediglich einen Topf und Feuer zur Zubereitung zu nehmen. Oder wie Ray Audette in Neanderthin schreibt: „Never eat anything that you cannot get naked, armed with only a sharp stick.“

Schwieriger wird es, Stress zu vermeiden. Jeder hat seine eigenen Techniken, aber Meditation und das bewusste Entspannen finde ich hilfreich. Ein Freund von mir empfiehlt als Einstieg in die Meditation das Buch Meditation für Dummies. Eine andere Entspannungstechnik ist Autogenes Training bzw. die konzentrative Selbstentspannung. Eine gute Anleitung dazu ist das Buch Autogenes Training von Hannes Lindemann.

2 Gedanken zu „Teil 2: Der westliche Lebensstil und Zivilisationskrankheiten“

    • Hi Kiki,
      vielen Dank! Die Erinnerung, nicht nur Muskelfleisch zu essen, finde ich sehr wichtig. Denn viel zu oft wird mit dem Schlagwort „Paläo-“ bzw. „Steinzeit-Ernährung“ gleich kiloweise (Muskel-)Fleisch und sonst nichts gleichgesetzt. Deswegen ja auch der Versuch Kurt Harris, eine neue Bezeichnung für diese weitestgehend Paläo-Ernährungsweisen einzuführen… .

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