Die optimale Ernährung im Lichte der Evolution

Ein Leser hat neulich gefragt, wie für mich die optimale Ernährung aussieht. Ich möchte meine Antwort hier etwas weiter ausführen, dabei aber bewusst Raum für zukünftige Beiträge lassen.

Doch zuerst: Ich weiß nicht, ob es überhaupt die eine optimale Ernährung gibt, die allen anderen überlegen ist. Wie man an traditionell lebenden Kulturen sieht gibt es eine sehr große Breite an Ernährungsweisen, die eine gute Gesundheit gewähren und vor den sog. Zivilisationskrankheiten schützen, also in gewisser Hinsicht gesundheitlich optimal sind. Doch selbst wenn es die eine optimale Ernährung geben sollte, wird ihre Entdeckung sicherlich noch sehr lange auf sich warten lassen.

Steve Phinney spricht von “Inseln der Sicherheit” in der Ernährung. Demnach gibt es gesunde und sichere low-carb Diäten, high-carb Diäten, usw. Aber pickt man sich aus dieser und jener Ernährungsweise diesen und jenen Aspekt heraus und vermischt sie, kann es gut sein, dass das Ergebnis nicht gesund ist.

Meines Erachtens hat er damit völlig Recht. Eine gesunde Ernährung ist viel mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Die Ernährung ist wie eine Waage. Verändert man hier etwas, wirkt sich das dort aus. Ein Beispiel: Nimmt man mehr Kohlenhydrate zu sich, braucht der Körper mehr Vitamin C, weil Glucose und Vitamin C hinsichtlich der zellulären Aufnahme im Wettbewerb stehen und Glucose vom Körper bevorzugt wird.

Dazu kommt noch, dass es signifikante genetische Unterschiede hinsichtlich der genetischen Anpassung an einzelne Lebensmittel gibt. Das bekannteste Beispiel dazu ist die Laktose. Auf Wikipedia gibt es eine schöne Karte mit der weltweiten Verteilung der Laktoseintoleranz. Deutlich zu sehen ist, dass für manche Bevölkerungsgruppen Milch als Nahrungsmittel nicht in Frage kommt.

Und wie wir neulich gesehen haben, beginnen wir erst langsam zu verstehen, welch gewaltige Wirkungen die Darmflora auf unsere Lebensmittelverwertbarkeit und allgemeine Gesundheit hat.

Trotzdem glaube ich, dass uns eine evolutionsgeschichtliche Betrachtungsweise zeigen kann, welche Ernährungsweise am natürlichsten – und damit am sichersten – ist.

Unsere Urernährung. Wie sah also unsere ursprüngliche, „untechnologische“ Ernährung aus? Oft werden hierfür moderne Jäger-und-Sammler als eine Art Zeitfenster in die Vergangenheit herangezogen — wobei die Sicht sicherlich nie ganz klar ist, weil Kultur sich ebenfalls entwickelt und das um ein Vielfaches schneller als die genetische Evolution.

Trotzdem ist Kultur, und damit auch Technologie, ein essentieller Teil des modernen Menschen. Schon Frühmenschen haben Werkzeuge hergestellt. Die ältesten bekannten Werkzeuge sind rund 2,6 Millionen Jahre alt. Wir haben uns also praktisch Hand-in-Hand mit unseren Werkzeugen entwickelt. Sehr gut möglich haben wir uns gerade wegen unserer Kultur zum modernen Menschen entwickelt.

Einige Erkenntnisse über unsere ursprüngliche Ernährung. Nahrungsmittel wurden grundsätzlich mit keiner oder nur geringer Weiterverarbeitung gegessen.1 Stattdessen aßen wir alles mehr oder weniger, wie wir es vorfanden.

Zudem wurden Nahrungsmittelgruppen sehr oft getrennt bzw. nur in bestimmten Kombinationen gegessen.2 Umso weniger Essen gelagert und angebaut wird, desto schwieriger kann ein gemischtes Büfett hergezaubert werden. Mangels Lagerung und Landwirtschaft wird auch keine extreme Ernährungsweise verfolgt worden sein, die sehr hoch an Kohlenhydraten, Eiweiß oder Fett war.3 Wer keine Landwirtschaft hat, wird nur schwierig sehr kohlenhydratreich essen; wer vom ganzen Tier lebt wird weder besonders hohe Mengen an Fett zu sich nehmen können,4 noch nur vom Muskelfleisch leben. Über diese ausgewogene Paleo-Ernährungsweise hat Lauren Cordain von The Paleo Diet schon oft berichtet:

Anteile tierischer und pflanzlicher Nahrung (bezogen auf Kalorien). Bei seiner Untersuchung von 229 Jäger-und-Sammler-Volksgruppen hat Cordain festgestellt,5 dass 73% der Gruppen über die Hälfte ihrer Nahrung aus tierischen Quellen bezog. Bei tierischen Lebensmitteln lag der Median des Anteils bei 56% bis 65% (Durchschnitt 68% inkl. arktischer Gruppen, die zwangsweise fast 100% tierisch essen, ansonsten 59%), bei pflanzlichen nur 26% bis 35% (Durchschnitt 32% inkl. arktischer Gruppen, ansonsten 41%).6

Makronährstoffzusammensetzung. Eiweiß macht anteilig zwischen 19% – 35% der Ernährung aus, Kohlenhydrate 22% – 40% und Fett 28% – 58%.7 Siehe aber zum Eiweißanteil Stephans Anmerkungen. Er argumentiert, dass Cordain außer Acht lässt, dass Jäger-und-Sammler gezielt möglichst fette Tiere auswählten und ihre Jagdziele entsprechend jahreszeitlich anpassten.

Neolithische Nahrungsmittel und andere Neuerungen. Ich bin nicht der Ansicht, dass diätische Neuerungen und Novel Foods („novel“ aus Sicht eines Steinzeitmenschen) per se schädlich sind. Nur weil etwas neu ist, heißt es nicht, dass unsere Biologie nicht damit umgehen kann. Das könnte zwar sein, aber die Neuerung könnte vorteilhaft sein. Man kann sich das wie Auto vorstellen. Mit Benzin im Tank läuft alles bestens. Das ist die Urnahrung. Zusätzlich Zucker reinschütten ist keine gute Idee, aber eine Lachgaseinspritzung dagegen schon!

  1. Siehe dazu beispielsweise O’Dea, K., et al. Traditional Diet and Food Preferences of Australian Aboriginal Hunter-Gatherers. 1991.
  2. Siehe beispielsweise Cordain, L. The Paleo Diet Update, Vol. 5 Nr. 3. 2009.
  3. Ohne das deswegen diese Ernährungsweisen automatisch ungesund sind. Eine low-carb-Diät ist beispielsweise für Diabetiker oder Übergewichtige sehr zu empfehlen.
  4. Wild ist vergleichsweise fettarm.
  5. Cordain, L., et al. Implications of Plio-Pleistocene Hominin Diets for Modern Humans. 2006.
  6. Der Median halbiert eine Verteilung und ist im Vergleich zum Durchschnitt robuster gegen Ausreißern. Das wird hier bei Wikipedia gut erklärt.
  7. Cordain L, et al. Plant to animal subsistence ratios and macronutrient energy estimations in world wide hunter-gatherer diets. 2000.

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