Fehlbiss: Zivilisationskrankheit. Teil 3

Der Neurobiologe Stephan Guyenet, Ph.D. von der englisch-sprachigen Webseite Whole Health Source hat eine exzellente Serie zum Thema Fehlbiss und Ernährung geschrieben. Die Serie umfasst neun Artikel; dieser Beitrag ist die Zusammenfassung/Übersetzung des dritten Artikels der Serie. Die Zusammenfassung von Teil 1 findest Du hier; Teil 2 hier. Der dritte Teil der Serie beschäftigt sich mit der normalen menschlichen Okklusion.

Die erste Studie ist von 1967. 1 Genetiker und Anthropologen haben den brasilianischen Stamm der Xavante untersucht und dabei mehrere körperliche Messungen vorgenommen, darunter des Schädels und Kiefers. 95% der Bevölkerung hatte einen optimalen Zahnreihenschluss. Die restlichen 5% der Bevölkerung hatten lediglich einen leichten Zahnengstand der vorderen Schneidezähne.

Die Autoren der Studie bemerkten, dass die Xavante im Allgemeinen einen breiten Zahnbogen, fast perfekt ausgerichtete Zähne, einen guten Zahnreihenschluss sowie einen umfangreichen Zahnabrieb hatten.

In der gleichen Veröffentlichung wurden aus anderen Studien die Malokklusionsstatistiken für drei weitere Kulturen zitiert. In Japan hatten 59% der Bevölkerung einen fehlerhaften Zahnreihenschluss. Im US-Bundesstaat Utah lag die Rate bei 64%. Schließlich wies ein Teil des Stammes der Bakairi, der in der Nähe der Xavante lebte, jedoch in Regierungsunterkünften und vermutlich mit einer modernen Ernährung, ein Malokklusionsvorkommen von 45% auf.

Die zweite Studie ist von Zahnarzt Dr. Brian Palmer, DDS, der historische Schädelsammlungen untersucht hat und seine Ergebnisse dazu 1998 veröffentlichte. 2 Zunächst berichtet Dr. Palmer von 20 prähistorischen Schädeln des anthropologischen Fachbereichs der University of Kansas. Manche Schädel hatten ein geschätztes Alter von 70.000 Jahren. Die Schädel wiesen einen guten Zahnreihenschluss, kaum Zahnverfall, einen breiten und harten Gaumen sowie einen U-förmigen Zahnbogen auf.

Folgendes Abbild aus der Veröffentlichung zeigt links einen prähistorischen U-förmigen Zahnbogen, rechts einen extrem schmalen Zahnbogen der Moderne. Stephan schreibt, dass solch enge Zahnbögen heute leider nicht mehr selten sind und dass in industrialisierten Gesellschaften die Mehrheit der Bevölkerung zumindest eine leichte Verengung des Zahnbogens aufweist. In der Tat sind enge Zahnbögen charakteristisch für Kulturen, die eine hohe Rate an Malokklusion aufweisen.

Links ein U-förmiger Zahnbogen der Prägeschichte, rechts ein extrem enger Zahnbogen der Moderne.

 

Im Smithsonian Institution in Washington, D.C. hat er 370 Schädel untersucht. Die Schädel stammten einerseits von prähistorischen Indianern der Ebenen Nordamerikas, andererseits von US-Einwohnern zwischen 1920-1940. Während die Schädel der Ur-Indianer durchweg eine gute und gesunde Dentalentwicklung aufwiesen, war bei zahlreichen Schädeln des frühen 20 Jahrhunderts eine deutliche Parodontose, ein stark fehlerhafter Zahnreihenschluss sowie fehlende Zähne zu sehen.

Zwei weitere Studien über Schädel in Großbritannien aus verschiedenen Epochen haben gezeigt, dass zum einen der heutige Zahnbogen so schmal ist wie noch nie zuvor 3 und zum anderen, dass jüngere Schädel häufiger als ältere Schädel Malokklusion vorweisen. 4 Hinsichtlich der Verschmälerung des Zahnbogens schrieb der Autor, Dr. D. H. Goose, dass diese zu schnell auftauchte, um ein natürlicher evolutionärer Prozess zu sein.

Dass er damit vermutlich Recht hatte, haben wir schon in Teil 1 dieser Serie und der besprochenen Abhandlung von Dr. Corruccini 5 gesehen. Die dentalen Fehlentwicklungen tauchten bei vielen Kulturen innerhalb einer Generation auf und zeitgleich mit der Umstellung ihrer Ernährung von einer traditionellen auf eine industrielle.

Dr. Weston A. Price kam in seinem Werk Nutrition and Physical Degeneration zum gleichen Ergebnis, nachdem er prähistorische Schädel und die Dentalentwicklung ihrer heutigen Nachkommen in Nord- und Südamerika, Neuseeland und Australien untersuchte.

Beispielsweise hat seine Untersuchung von mehreren hundert Schädeln aus Grabhügeln in Südflorida gezeigt, dass in keinem einzigen Zahn Karies festgestellt werden konnte. Ebenso waren die Zahnbögen und die Okklusion perfekt. 6

Das folgende Bild ist von einem Schädel eines prähistorischen Maori Jäger-und-Sammlers in Neuseeland, den Dr. Price photographiert hat. Man sieht deutlich den wohlgeformten Zahnbogen, der ausreichend Platz für die vorhandenen Weisheitszähne hatte.

Schädel eines prähistorischen Maoris in Neuseeland. Bild 73 aus "Nutrition and Physical Degeneration" von Dr. Weston A. Price.

 

Industrialisierte Bevölkerungen haben oft wegen ihres schmalen Zahnbogens zu wenig Platz für die Weisheitszähne. So weisen städtische Nigerianer im Vergleich zu ihren ländlichen Verwandte im gleichen Bundesstaat eine 10 Mal höhere Rate an Zahnengstand bei den Weisheitszähnen auf. 7

Die Evolution hat uns nicht zu schmalen Zahnbögen ohne Platz für die Weisheitszähne, zu einem fehlerhaften Zahnreihenschluss, keine oder zu kleine Nebenhöhlen und eine allgemeine Unterentwicklung des mittleren Drittels des Gesichtes, sowie Zähne, bei denen Karies normal ist, geführt. Schuld ist die industriell bedingte Vernährung des modernen Menschen.

Wo haben wir das her?

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  1. Am. J. Hum. Genet. 19(4):543. 1967 (kostenlos online erhältlich).
  2. J. Hum. Lact. 14(2):93. 1998
  3. Arch. Oral Biol. 7:343. 1962
  4. Brash, J.C.: The Aetiology of Irregularity and Malocclusion of the Teeth. Dental Board of the United Kingdom, London, 1929.
  5. An Epidemiologic Transition in Dental Occlusion in World Populations, Am J. Orthod. 86(5):419
  6. Price, Dr. Weston A., Nutrition and Physical Degeneration, S. 79 in der Onlineausgabe als PDF.
  7. Odonto-Stomatologie Tropicale. 90:25 (kostenlos online erhältlich).

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