Die New York Times berichtete neulich über die Verwendung von Salz in industriellen Lebensmitteln (bzw. Frankenfraß, wie ich diese Kreationen auch gerne nenne).1 Viele Hersteller bemühen sich, den Salzgehalt ihrer Lebensmittel (sprich: Fertigprodukte) zu senken, weil aufmüpfige Elemente aus der Bevölkerung aber auch Behörden das aus gesundheitlichen Gründen fordern. Weniger Salz zu verwenden ist jedoch anscheinend gar nicht so einfach. Auf der einen Seite wollen Verbraucher, dass weniger Salz verwendet wird, aber zugleich wollen sie nicht, dass der Geschmack leidet…
Ein Kartenhaus der Chemie
… und das ist ein Problem. Viele industrielle Lebensmittel schmecken nämlich ohne Salz einfach nur grässlich, wie die Times feststellen musste: Cornflakes bekommen einen metallischen Geschmack; Käse-Cracker schmecken plötzlich medizinisch bitter; Waffeln erinnern an abgestandenem Stroh und der Buttergeschmack der Keebler Light Buttery Crackers, in denen Butter als Zutat vergeblich gesucht wird, verschwindet gänzlich.
Ich will hier nicht auf Salz schimpfen; in der Hexenküche der Lebensmittelindustrie gibt es wahrlich gefährlichere Zusatzstoffe wie beispielsweise Carrageen, welches in Verdacht steht, krebserregend zu sein. Worauf ich hinaus möchte ist, dass industrielle Lebensmittel oft eine derartige Verarbeitung erfahren, dass sie eher einer Hochtechnologie als echter Nahrung gleichen. Verändert man nur eine Kleinigkeit, bringt man das ganze Konstrukt zum Fall. Ein Kartenhaus der Chemie.
In der heimischen Küche ist es dagegen fast unmöglich, nur mit dem Weglassen einer einfachen Zutat wie Salz den Geschmack so zu verändern, dass das Essen ungenießbar wird. Vielleicht wird zu Tisch bemerkt, dass die Suppe fad schmecke, mehr aber auch nicht.
Apropos „fad“: in China wird der Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat (MSG) wie hierzulande Salz verwendet. In Supermärkten kann man MSG wie Salz oder Zucker in großen Tüten kaufen, und bei kleinen Ständen am Straßenrand sieht man wie MSG großzügig dem Essen beigemischt wird. Eine Freundin hatte das Glück, in Zentralchina bei einer Familie zu einem traditionellen Abendessen eingeladen zu werden. Die Mutter hat gekocht. Meine Bekannte fragte, ob die Familie auch MSG verwenden würde. In Deutschland kenne man MSG für die heimische Küche nämlich gar nicht. Die entsetzte Antwort: MSG verwendet, wer nicht kochen kann!
Tomatensoße
Im Grunde gilt das gleiche für Fertigprodukte. Abgesehen von Frankenfraß, bei dem nichts mehr zu retten ist, können qualitativ hochwertige Zutaten Fertigprodukte vom Fluch der Chemie befreien (ohne damit Fertigprodukte abnicken zu wollen). Nehmen wir zur Illustration eine einfache Tomatensoße für Pasta, wie auch im Artikel als Beispiel angeführt.
Werden reife Tomaten, Kräuter und hochwertiges Olivenöl verwendet, können Hersteller auf Geschmacksverstärker und Unmengen an Salz und Zucker verzichten. Die Haltbarkeit ist zwar nicht mehr in dem Maße gegeben und das Produkt wird teurer (bzw. die Gewinnmarge geringer), aber schon haben wir ein Fertigprodukt, das zumindest von den Zutaten her nicht mehr schädlich sein sollte. Wie sich die sonstige Verarbeitung auswirkt, ist eine andere Sache.2
10.000 Produkte jedes Jahr
Die Times berichtet weiterhin, dass die Lebensmittelindustrie in den USA jährlich 10.000 neue Produkte auf den Markt bringt. Diese Zahl kann man auch aus einer anderen Perspektive betrachten. Weltweit gibt es 50.000 essbare Pflanzen, wovon nur 150 in nennenswertem Umfang angebaut werden. Mais, Reis und Weizen liefern dabei ganze 60% der weltweiten Nahrungsmittelenergie liefern (Stand 1995).
Anstatt die hundertste Geschmacksrichtung an Chips auf den Markt zu bringen, würde ich mir wünschen, dass einige vergessene Lebensmittel aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden.
Abschließende Worte
Auch wenn man beim Lesen des Artikels das Gefühl bekommt, dass die Industrie jammert, so jammert sie wohl eher auf eine genervte Art und Weise und nicht weil sie sich wirklich bemüht, etwas zu ändern, und das technologisch schwierig ist. Die Times zitiert hierbei den Lebensmitteltechniker und Berater der Lebensmittelindustrie Dr. Moskowitz:
Dr. Howard Moskowitz, a food scientist and consultant to major food manufacturers, said companies had not shown the same zeal in reducing salt as they had with sugars and fat. While low-calorie sweeteners opened a huge market of people eager to look better by losing weight, he said, salt is only a health concern, which does not have the same market potential.
“If all of a sudden people would demand lower salt because low salt makes them look younger, this problem would be solved overnight,” he said.
Die kurze Zusammenfassung auf Deutsch: Salz ist nur gesundheitlich relevant und daher ein kleinerer Markt, als Fett und Zucker es waren/sind, weil sich diese auf die schlanke Linie auswirken und Leute eher darauf achten, als auf ihre Gesundheit. Ansonsten, so Dr. Moskowitz, hätte die Industrie das Problem schon längst gelöst.3
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Fußnoten
- Damit will ich keinesfalls das liebenswürdige Volk der Franken beleidigen, sondern auf Frankenstein anspielen. ↩
- In amerikanischen Supermärkten findet man Tomaten-Salsa an zwei verschiedene Stellen: einmal im Kühlregal mit einer kurzen Haltbarkeit und einmal neben Chips im normalen Regal mit einer langen Haltbarkeit. Ich weiß, welche Salsa ich wählen würde. ↩
- Wobei wir alle wissen, dass Butter gesund ist, Margarine nicht. Glück im Unglück? Welche gesundheitliche Wirkungen hätte denn die Margarine des Salzes? ↩
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Und wenn man das Salz aus deren Produkten entfernt, sind sie beinahe gezwungen, es mit Zucker oder Fett aufzufüllen, damit es überhaupt nach irgendwas schmeckt. Dann doch lieber direkt frische Zutaten kaufen und selbst machen.
Witzigerweise wird das sogar als Argument der Industrie verwendet!
Hallo Bertram, ich stimme deinem Artikel voll zu. Allerdings kann ich mich mit der Bezeichnung „Frankenfraß“ überhaupt nicht anfreunden. Ich bin zwar kein Franke, aber die Ober- und Unterfranken die ich kenne lassen den Begriff für mich sehr freundlich erscheinen. Wie wäre es denn mit „Frankensteinfraß“? Rainer
Hallo Rainer,
fast hätte ich sogar „Frankensteinfraß“ geschrieben. Beim Schreiben kam mir nämlich der Gedanke, dass man in Deutschland womöglich eher an das Volk der Franken denken würde als an Frankenstein (daher auch die erklärende Fußnote). Für mich ist die erste Assoziation eine andere, weil im Englischen der Begriff „frankenfood“ für GM-Nahrungsmittel gängig ist. Wie dem auch sei, zukünftig werde ich einen den Franken freundlicheren und unzweideutigen Begriff wählen!
Wie wäre es mit „Industrieabfall“?
Passend wäre der Begriff auf jeden Fall!