Die Selbstbehandlung mit Parasiten

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Von Janderk – Photographed by Jan Derk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=24169

Parasiten finde ich widerlich (hier und hier klicken, um zu verstehen, wieso). Dennoch könnten sie -zumindest wenn es sich um sog. Helminthen (Würmer) handelt- ein wichtiges Glied in unserer Gesundheit sein, genauso wie Bakterien es sind. Sollte das der Fall sein, müssten wir unter Umständen umdenken und nicht mehr von Parasiten sprechen (Bild unten), die den Wirt schädigen, sondern von Symbionten (schnuckeliges Bild oben), die für uns vorteilhaft sind.


Von Delorieux for Johann Gottfried Bremser – XIX tabulae : Anatomiam entozoorum illustrantes, congestae, nec non explicatione praeditae, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11412733

Die herkömmliche Medizin ist noch skeptisch und so wenden sich immer mehr Patienten, die an Autoimmunerkrankungen leiden, an einen regelrechten Schwarzmarkt, um sich selbst mit Parasiten, hauptsächlich Würmern, zu infizieren und zu behandeln.

The Parasite Underground

Moises Velasquez-Manoff, Autor des Buches An Epidemic of Absence: A New Way of Understanding Allergies and Autoimmune Diseases, berichtet für die New York Times in dem sehr spannenden Artikel The Parasite Underground über diesen Schwarzmarkt.

Exkurs

Wer Englisch versteht wird auch sein TEDx Talk über die Notwendigkeit von Parasiten und Mikroben für unser Immunsystem ansehen wollen. Moises vergleicht darin das Fehlen von Parasiten und Mikroben mit dem Fehlen der Schwerkraft. Unsere Körper haben im Laufe der Evolution im Grunde aus der Not, das Vorhandensein von Schwerkraft und Mikroben und Parasiten, eine Tugend gemacht, sodass wir heute diese Elemente benötigen, um gesund zu bleiben.

Vik und die Peitschenwürmer

Aber zurück zu dem Beitrag. Dieser fängt mit der Geschichte von Vik an, der als spät Zwanziger plötzlich Blut in seinem Stuhl fand. Er wurde mit Colitis ulcerosa diagnostiziert, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, die, ebenso wie andere chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, im Westen im 20. Jahrhundert einen starken Anstieg verzeichnet hat. Anstatt arzthörig zu bleiben und u.U. seinen Dickdarm operativ verlieren zu müssen, beschäftigte Vik sich näher mit der Krankheit und wurde dabei auf die Forschung eines Gastroenterologen namens Joel Weinstock aufmerksam.

Weinstocks Forschung deutet darauf hin, dass parasitische Wurmerkrankungen einen Schutz vor chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen liefern. Solche Darmerkrankungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das Immunsystem des Körpers überaktiv ist und sich bzw. das Mikrobiom selbst angreift.

Würmer schalten das Immunsystem ihres Wirtes zu einem gewissen Grad ab. Nur so können sie überleben. Dadurch, dass im frühen 20. Jahrhundert parasitische Wurmerkrankungen praktisch ausgerottet wurden, haben einige von uns vielleicht ein zu aktives Immunsystem und als Folge solche Autoimmunerkrankungen.

Vik fasste den Entschluss, sich selbst mit Menschen-Peitschenwürmern zu infizieren. Forscher hatten in Versuchsreihen erste Erfolge mit der Infizierung mit dem Schweine-Peitschenwurm erzielt, aber Vik wollte den richtigen Wurm für seine Spezies.

Er flog nach Thailand, mit seinem Vater, ein Professor und Arzt, und nahm von einem Parasitologen eine Ampulle mit Peitschenwurmeiern in Empfang. Sein Arzt und seine damalige Frau, eine Ärztin in Ausbildung, waren strikt gegen die Idee der Selbstinfizierung.

Zurück in Südkalifornien machte er sich daran, die Eier zu embryonieren. Nur in diesem „aktiven“ Zustand würden sie ihn bei Einnahme auch infizieren. In den Tropen embryonieren die Eier, wenn sie ausgeschieden werden und in einer warmen und feuchten Umgebung „inkubieren“. Erst nach Monaten, als er auf die Idee kam, in seinem selbst zusammengeschusterten Labor nicht-steriles Leitungswasser zu verwenden, klappte es. Die Eier waren embryoniert und er trank einige Hundert der Eier in einem Glas Wasser. Ein paar Monate später nahm er wieder Eier zu sich.

Nach erfolgreicher Infizierung fing er an, seine Medikamente nach und nach zu reduzieren. Seine Probleme blieben aus – er wollte sich aber vergewissern, dass es tatsächlich an dem Peitschenwurm lag und nicht ein Zufall war. Er setzte sich mit verschiedenen Forschern in Verbindung. Ein junger Parasitenimmunologe namens P’ng Loke nahm sich seiner an und beobachtete ihn.

In den folgenden vier Jahren erlitt Vik stets dann einen Rückfall, wenn die Würmer alt wurden. Erst eine neue Infizierung brachte wieder Linderung. 2011 wurde in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine Viks Fall einem breiteren Publikum bekannt gemacht.

Dieser Fachbeitrag, aber auch dieselben Beiträge, die Vik selbst inspiriert hatten, haben eine Art Untergrundbewegung der Selbstbehandlung mit Parasiten gefördert. Bei Facebook, Yahoo und anderweitig im Internet gibt es Foren, wo Material und Erfahrungsberichte ausgetauscht werden. Mittlerweile gibt es auch einige professionelle Anbieter von Parasiten, wie z.B. Biome Restoration im (noch – Brexit!) Vereinigten Königreich.

Parasiten in der herkömmlichen Medizin

Die Behandlung mit Parasiten wird zunehmend auch in der Fachwelt untersucht – und oft, aber nicht immer, mit Erfolg. So haben Patienten mit Multipler Sklerose, Crohns, und Zöliakie eine Linderung dank Parasiten erfahren. Nichtsdestotrotz handelt es sich meist um kleinere Versuchsreihen. Ärzte im allgemeinen stehen dem Ganzen skeptisch gegenüber. Daher auch die Untergrundbewegung der Selbstbehandlung bzw. der Behandlung in Mexiko unweit der US amerikanischen Grenze. (Ich würde gerne wissen, ob in Mexiko diese Behandlungen legal sind oder einfach nur geduldet – man liest sehr oft, dass experimentielle Behandlungsmethoden in Mexiko angeboten werden.)

Der Autor des New York Times Artikels, Moises Velasquez-Manoff, hat sich ebenfalls mit Hakenwürmern infiziert. Er leidet an mehreren Immunerkrankungen, u.a. Heuschnupfen, Dermatitis und auch Alopecia universalis – eine Erkrankung, die ihn fast komplett haarlos lässt.

Zu Beginn war es wie ein Wunder. Stellenweise verschwand seine Dermatitis, er war komplett befreit von Heuschnupfen und sogar Haarflaum wuchs hier und da. Der Erfolg war aber nur vorübergehend. Seine Symptome kamen zurück, zum Teil heftiger als zuvor, und nach einem Jahr entschied er sich, das Experiment zu beenden. Für ihn waren die Nebenwirkungen der Infizierung heftiger als die Symptome.

Seine Erfahrung ist kein Einzellfall. Einige berichten von schlimmen Nebenwirkungen und ein Ausbleiben der erhofften Linderung oder Heilung. Woran liegt das?

Meines Erachtens wissen wir noch viel zu wenig über das Thema. Muss man beispielsweise die Erkrankung in einem frühen Stadium erwischen? Helfen bestimmte Parasiten nur bei bestimmten Erkrankungen?

Würde ich an einer Autoimmunerkrankung erkranken, würde ich mich infizieren – ohne aber andere Behandlungsmethoden außer Acht zu lassen, wie z.B. die Ernährung, Ergänzungsmittel und, ja, auch die herkömmliche Medizin.

Zwei Bücher für alle, die sich näher für das Thema interessieren: The Wild Life of Our Bodies: Predators, Parasites, and Partners That Shape Who We Are Today von Rob Dunn und An Epidemic of Absence: A New Way of Understanding Allergies and Autoimmune Diseases von Moises Velasquez-Manoff.

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