Teil 1: Der westliche Lebensstil und Zivilisationskrankheiten

Vor kurzem ist eine tolle Abhandlung mit dem spannenden Titel The western diet and lifestyle and diseases of civilization erschienen. Die gesammelte Autorenschaft dahinter ist beeindruckend: Pedro Carrera-Bastos, Maelan Fontes-Villalba, James H O’Keefe, Staffan Lindeberg und Loren Cordain. Sogar Stephan von Whole Health Source hat indirekt mitgewirkt. Ich empfehle die Lektüre jedem. Ursprünglich wollte ich eine Mini-Serie zur Abhandlung machen, aber ich fasse nun doch meine ersten drei, einführende Beiträge zusammen. Teil 2 wird einen genaueren Blick auf unsere veränderte Ernährung werfen.

Veränderte Lebensbedingungen

Die Autoren steigen mit dem Satz ein, dass die Bedürfnisse nach körperlicher Bewegung, Sonne, Schlaf und Nährstoffen für jedes Lebewesen genetisch vorgegeben sind. Unser Genom verändert sich, aber seit der Neolithischen Revolution vor ca. 11.000 Jahren mit dem Aufkommen der Landwirtschaft haben sich die Lebensumstände des Menschen derart drastisch verändert, dass sich unser Genom in der kurzen Zeit nicht vollständig an die neuen Lebensumstände anpassen konnte. Gewisse Anpassungen sind zwar vorzufinden, wie beispielsweise die Eigenschaft, auch im Erwachsenenalter das zur Verdauung von Milch notwendige Enzym Laktase zu produzieren. Diese Eigenschaft lässt sich aber auch nur bei ca. 35 % der Weltbevölkerung finden.

Unser Genom ist vorwiegend in der Zeit des Paläolithikums geprägt worden, also von vor 2,5 Millionen bis vor 11,000 Jahren. Zudem lässt sich der Großteil der Veränderungen, die in den letzten 11,000 Jahren stattfanden, auf Krankheitserreger und extreme Umweltbedingungen zurückführen und nicht auf Veränderungen unseres Lebensstils.

Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass 11,000 Jahre nur 0,5 % der gesamten Gattungsgeschichte des Homo bzw. 366 Generationen darstellt. Noch krasser stellt sich das zeitgeschichtliche Ungleichgewicht dar, wenn wir auf die Industrielle Revolution blicken und was die Autoren als die Moderne bezeichnen und mit dem Aufkommen von Junk Food verbinden. Seit der Industriellen Revolution sind nur 7 Generationen vergangen, seit der Moderne lediglich 4. Und seit wievielen Generationen gibt es den modernen Menschen, Homo sapiens? Seit 6666. Das sind ca. 200.000 Jahre und entspricht 8,7 % der Gattungsgeschichte des Homo.

Würde man die Veränderungen unseres Lebensstils auf einem Graphen als Kurve darstellen, würde sie die längste Zeit vor sich her dümpeln, um dann insbesondere in den letzten rund 150 Jahren bzw. 7 Generationen extrem nach oben zu schnellen. Eine der wichtigsten Auswirkungen war die Minderung der Sterblichkeit bis zum Fortpflanzungsalter und damit des selektiven Drucks hinsichtlich der Fortpflanzungsfähigkeit. Eine genetische Anpassung an die neuen Lebensbedingungen erscheint damit sehr unwahrscheinlich. Der neue, westliche Lebensstil mag uns eine „ausreichende“ Gesundheit für die Fortpflanzung sichern, aber die Grundlage für ein durchweg gesundes Leben stellt er nicht dar.

Paleo-Kulturen heute

Jäger und Sammler sowie Kulturen, die vom Gartenbau leben, haben im Vergleich zum industrialisierten Menschen eine überragende Gesundheit. Die Autoren listen insbesondere 13 Punkte auf, die uns nicht-industrialisierte Kulturen voraus haben:

  • Niedrige Blutdruckwerte
  • Kein Zusammenhang zwischen Alter und Blutdruckwerten
  • Hervorragende Insulinsensibilität auch im fortgeschrittenen Alter
  • Geringe Nüchternplasma-Insulinkonzentrationen und eine erhöhte Insulinsensibilität
  • Geringe Nüchternplasma-Leptinkonzentrationen
  • Niedriger BMI
  • Geringes Verhältnis Taille/Größe
  • Geringe Hautfaltendicke
  • Hohes maximales Sauerstoff-Atemvolumen
  • Bessere Sehschärfe
  • Bessere Knochengesundheit
  • Weniger Knochenbrüche

Geschichtliche Texte und Augenzeugenberichte schwärmen von der Gesundheit solcher Kulturen. Auch Ärzte wie Albert Schweitzer haben wiederholt dokumentiert, dass diese „primitiven“ Völker kaum chronische Erkrankungen aufwiesen. Die ganze Bandbreite der Zivilisationskrankheiten, Diabetes, Krebs, Akne, Herzerkrankungen, Kurzsichtigkeit, gab es praktisch nicht. Dagegen tauchen diese Krankheiten selbst bei den alten Ägyptern und den Hochkulturen Indiens auf.

Trotzdem findet man immer wieder Behauptungen, dass die Gesundheit von Jägern-und-Sammlern gar nicht so gut sei.

Argumente gegen die überlegene Gesundheit Jäger und Sammler bzw. traditionell lebender Kulturen und deren Zurückweisung

Traditionell lebende Bevölkerungsgruppen sind genetisch vor Zivilisationskrankheiten geschützt.

Übernehmen Personen aus solchen Kulturen jedoch einen westlichen Lebensstil, entwickeln auch sie die üblichen Zivilisationskrankheiten. Kehren sie zu einem traditionellen Lebensstil zurück, ist meist eine Genesung zu beobachten.

Ganz klar sind vornehmlich also Lebensbedingungen und nicht genetische Ursachen ausschlaggebend für die Gesundheit. Ebenfalls ersichtlich wird, dass der Mensch sich genetisch gesehen noch nicht an moderne Lebensumstände angepasst hat.

Jäger und Sammler haben eine niedrige Lebenserwartung.

Hierzu sind im Vergleich zum verwestlichten Menschen Unterschiede der Lebensführung zu erwähnen. Kriege und Unfälle verschiedenster Art sind bei Jägern und Sammlern in weit größerem Maße vorhanden als bei uns. Werden diese herausgerechnet, ergibt sich eine durchschnittliche Lebenserwartung von 68-78 Jahren – und ohne die üblichen Alterserkrankungen, die dem “zivilisierten” Menschen widerfahren.

Archäologische Untersuchungen zeigen zudem, dass das Aufkommen der Landwirtschaft Hand in Hand mit einer Verschlechterung von gesundheitlichen Markern einherging und zugleich zu einer Verringerung der Lebenserwartung führte.

Unsere Ur-Umwelt

Unterschiedliche Lebensregionen führen und führten zu unterschiedlichen Lebensstilen. Trotzdem gibt es einige Konstanten in der Lebensführung von traditionell lebenden Kulturen.

  • Regelmäßige Sonneneinstrahlung (außer bei den Inuit und ähnlichen Volksgruppen, die die verminderte Vitamin D-Produktion durch die Ernährung kompensierten)
  • Tagesrhythmus im Einklang mit dem Sonnenverlauf
  • Akuter statt chronischer Stress
  • Regelmäßige körperliche Bewegung
  • Keine Aussetzung künstlicher Umweltgifte
  • Frische und meist unverarbeitete Lebensmittel

Im Hinblick auf den letzten Punkt listet die folgende Tabelle grob die Lebensmittel auf, die es in der Altsteinzeit gab und stellt sie einigen novel foods gegenüber.

ErhältlichNicht erhältlich
Insekten, Fisch und Meeresfrüchte, Reptilien, Vögel, Säugetiere, Eier - alle nicht domestiziertMilchprodukte (abgesehen von der Muttermilch)
Blätter, Blüten, SeealgenGetreide (in der Jungsteinzeit gelegentlich)
WurzelnHülsenfrüchte (gewisse Sorten jedoch abhängig von der Jahreszeit)
KnollenIsolierter Zucker
Beeren und wilde FrüchteIsolierte Öle
Nüsse und SamenAlkohol
Honig (gelegentlich)Raffiniertes Salz

Im nächsten Beitrag schauen wir uns die Veränderungen hinsichtlich unserer Ernährung an.

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