Fehlbiss: Zivilisationskrankheit. Teil 8

Der Neurobiologe Stephan Guyenet, Ph.D. von der englisch-sprachigen Webseite Whole Health Source hat eine exzellente Serie zum Thema Fehlbiss und Ernährung geschrieben. Die Serie umfasst neun Artikel; dieser Beitrag ist die Zusammenfassung/Übersetzung des achten Artikels der Serie. Die Zusammenfassung von Teil 1 findest Du hier; Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier und Teil 7 hier.

Teil 8 bespricht die Okklusion dreier Kulturen und wie sich diese im Laufe der Zeit verändert hat.

Die Xavante von Simon Lopes in Brasilien

Wie man aus Berichten von 19641 und 19662 erkennt, hatten die Xavante hervorragende Zähne frei von Karies – und das obwohl sie ihre Zähne nicht regelmäßig putzten. Auch ihr Zahnreihenschluss war ausgezeichnet; nur 5% hatten einen leichten Zahnengstand der Schneidezähne. Andere Arten von Fehlstellungen waren nicht vorhanden. Zahnbögen waren breit und Zähne gerade.

Sie verlangten ihren Zähnen sehr viel ab. Bis zum 20. Lebensjahr waren die Zähne in der Regel so weit abgenutzt, dass die Höcker und Grübchen der Zähne (die Kauflächen) abgewetzt und völlig flach waren. Ihre Ernährung bestand saisonabhängig aus Nüssen, Früchten und wildes Wurzelgemüse. Fleisch war sehr hoch geschätzt; in mancherlei Hinsicht sah man es gar als das einzig wahre Nahrungsmittel an. Trotzdem aß man nicht täglich Fleisch.

Sobald die Xavante regelmäßigen Kontakt mit der westlichen Welt hatten und sich ihre Ernährung änderte, verschlechterte sich die Gesundheit ihrer Zähne. Innerhalb von fünf Jahren hatten ca. 66% der Xavante Karies. Das nahe gelegene und genetisch ähnliche Volk der Bakairi hatte schon länger ihre traditionelle Lebensweise aufgegeben. Bei ihnen war das Vorkommen an Karies 10x so hoch wie bei den Xavante. Einen fehlerhaften Zahnreihenschluss traf man 9x so häufig an. Ihre Zähne waren aber nicht so abgenutzt wie bei den Xavante.

Stephan vermutet als Gründe für die exzellente dentale Gesundheit der Xavante:

  • nährstoffreiche Lebensmittel, die wahrscheinlich auch Organe umfasste.
  • Bruststillen auf Verlangen für mindestens zwei Jahre.
  • Kein Flaschenstillen, keine Schnuller.
  • regelmäßig feste Nahrungsmittel.

Die Massai Kenias

Die Massai leben bzw. lebten vornehmlich von dem, was ihr Vieh ihnen gab. Das heißt von Milch, Blut und Fleisch. Obwohl sie sehr leicht frisches Gemüse und Mais bekommen konnten, lehnten sie diese ab. Studien von 19453 und 19524 zeigten, dass nur 0.3% ihrer Zähne von Karies befallen waren; insgesamt hatten 4% der Massai Karies. Bei der ersten Studie von 1945 wiesen nur 8% einen fehlerhaften Zahreihenschluss auf, 1952 waren es 0.4%. Obgleich die Schwankung recht groß ist, sind beide Vorkommen niedrig.

Die Ernährung der Massai war nährstoffreich. Bruststillen auf Verlangen für mindestens zwei Jahre war die Regel und Schnuller gab es nicht. Im Gegensatz zu den Xavante hatten sie jedoch keine festen Nahrungsmittel. Im Gegenteil. Weicher als Milch und Blut geht es nicht. Hieran sieht man, dass ein guter Zahnreihenschluss nicht gänzlich von festem Essen abhängt.

Stephan berichtet noch, dass gemäß Studien von 1992 und 1993 die Massai zum Großteil ihre traditionelle Ernährungsweise abgelegt haben. Ein fehlerhafter Zahnreihenschluss ist mittlerweile bei fast allen Massai zu finden.

Ländlich lebende Kaukasier im US-Bundesstaat Kentucky

Eine Studie von 1981 hat die Okklusion ländlich und abgeschieden lebender Kaukasier in Kentucky untersucht.5 Die Bewohner bekamen so gut wie keine professionelle Zahnpflege, Inzucht war weit verbreitet (wobei seit den 1950er weniger so) und ihre Ernährung umfasste viele harte und feste Lebensmittel. Die ältere Generation hatte einen hervorragenden Zahnreihenschluss. Bei der jüngeren Generation war er katastrophal. Der Unterschied zwischen den Generationen war vornehmlich die Ernährung als Heranwachsender.

Die ältere Generation aß was sie selber anbaute (Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst), sammelte (Kräuter, Nüsse) und jagte (vermutlich wurden die Organe und Knochen auch verwertet). Getrocknetes Schweinefleisch und fritiertes Maisbrot mit einer dicken Kruste waren wichtige feste Lebensmittel, die die Zähne und die Kiefer beanspruchten. Die jüngere Generation wuchs nicht mehr so abgeschieden auf. Moderne, verarbeitete Lebensmittel wurden zum Teil ihrer Ernährung. Diese neuen Lebensmittel waren weicher und auch nährstoffärmer.

Gemeinsamkeiten bei allen Volksgruppen

Die Gemeinsamkeiten der untersuchten Volksgruppen mit hervorragender Okklusion sind nährstoffreiche Lebensmittel, feste Lebensmittel und ein langes Stillen auf Verlangen. Wurden diese Angewohnheiten beiseite gelegt, schnallte das Vorkommen an Malokklusion in die Höhe.

Wo haben wir das her?

—–

  1. Further studies on the Xavante Indians. VII. The oral status of the Xavantes of Simões Lopes (kostenlos online erhältlich); Am J Hum Genet. 1967 July; 19(4): 543–553.
  2. Studies on the Xavante Indians of the Brazilian Mato Grosso (kostenlos online erhältlich); Am J Hum Genet. 1964 March; 16(1): 52–140.
  3. The Teeth of the Masai (kostenlos online erhältlich); J Dent Res 1946; 25; 17; doi:10.1177/00220345460250010401.
  4. Teeth of the Masai; second report; East Afr Med J. 1952 Jan;29(1):27-9; PMID:14926670.
  5. Occlusal variation in a rural Kentucky community; Am J Orthod. 1981 Mar;79(3):250-62. PMID:6938135.

Schreibe einen Kommentar